Das Projekt „Netzwerk FAMILIE - ARBEIT - MITTELSTAND im MÜNSTERLAND – FAMM“ ist abgeschlossen. Diese Projektwebsite www.fam-muensterland.de steht weiterhin für alle Interessierten offen, sie wird allerdings nicht mehr aktualisiert.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch nach Projektabschluss für uns und unsere Partnerorganisationen ein wichtiges Anliegen. Verfolgen Sie auf unserer Homepage www.heurekanet.de, wie wir die Vereinbarkeit in der Gesundheitswirtschaft mit dem Projekt ampaq und im Maschinen- und Anlagenbau mit dem Projekt FAM²TEC voranbringen.


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Die Gefahr der Isolation ist groß
Wirtschaft aktuell, 30.10.2010

Die Gefahr der Isolation ist groß

Ostbevern - Es kam ganz plötzlich. Eigentlich war sie doch immer kerngesund, ging dreimal in der Woche zum Sport. Nun liegt die 72-Jährige mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus und bleibt ein Pflegefall. Ihre Tochter, 40 Jahre alt und Büroangestellte, soll sich um sie kümmern. Eine Situation, die kein Einzelfall ist. Wird ein Familienmitglied unerwartet zum Pflegefall, stellt es den Alltag für die pflegenden Angehörigen auf den Kopf – auch den beruflichen. Wie der Spagat zwischen Pflege und Arbeit gemeistert werden kann und was der Arbeitgeber zu beachten hat, das haben jetzt 30 Unternehmer zusammen mit dem Netzwerk „Familie-Arbeit-Mittelstand im Münsterland“ (Famm) und der gfw Gesellschaft für Wirtschaftsförderung im Kreis Warendorf mbH bei der Friwo Gertätebau GmbH in Warendorf diskutiert.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden derzeit rund 70 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Allein 2020 soll es Schätzungen zufolge 2,9 Millionen Menschen geben, die sich nicht selbst versorgen können. 2030 sollen es bereits rund 3,4 Millionen sein. „Die Pflege Angehöriger ist ein Thema, das akut ist. Aber es wird noch nicht genügend darüber gesprochen. Wer nicht betroffen ist, klammert das gerne aus“, stellte Dr. H. Elisabeth Philipp-Metzen, Geschäftsführerin der GeWiss Gerontologie – Wissen für die Praxis aus Laer und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln, klar. Einer Erhebung von TNS Infratest zufolge sind es vor allem Frauen (73 Prozent), die die häusliche Pflege Angehöriger übernehmen. Eine Aufgabe, die Berufstätigen einiges abverlangt.

Hilfe leisten soll deshalb das Pflegezeitgesetz. „Ziel ist es, den Beruf und die Pflege von Angehörigen zu Hause unter einen Hut zu bekommen. Das heißt vor allem, zu organisieren. Das fängt bei der Installation eines Treppenliftes an und geht bis zum Essenanreichen“, weiß Philipp-Metzen. Bei einer akut auftretenden Pflegesituation kann ein Arbeitnehmer bis zu zehn Arbeitstage frei bekommen, um die bedarfsgerechte Pflege zu organisieren. „Das kann man nicht immer zu 100 Prozent allein erledigen. Wichtig ist, rechtzeitig die richtigen Anlaufstellen zu kontaktieren, die dabei helfen können“, betonte Philipp-Metzen.

Die Pflegezeit, also die Betreuung naher Angehöriger über einen längeren Zeitraum von höchstens sechs Monaten und somit eine teilweise oder vollständige Freistellung von der Arbeit, können nur Arbeitnehmer beantragen, die bei einem Betrieb angestellt sind, der mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt. Eine Lösung für sechs Monate zu suchen, sei aber nicht ausreichend. „Die Dauer der Pflegefälle ist meistens nicht voraussehbar. Deshalb ist es wichtig, Lösungen über diesen Zeitraum hinaus zu finden. Insbesondere Betriebe, die weniger als 15 Beschäftigte haben, müssen individuelle Lösungen finden. Und da ist der Arbeitgeber gefragt“, forderte Philipp-Metzen. Denn die Pflege von Angehörigen bedeute vor allem Veränderung. Nach der Arbeit geht es dann oftmals nicht direkt zum Sport oder zur eigenen Familie, sondern zur 72-jährigen Mutter mit dem Herzinfarkt. „Die Gefahr der Isolation ist dann sehr groß, da für andere Freizeitgestaltung kaum Zeit bleibt. Neben der körperlichen Belastung ist die Stabilität der Psyche wichtig. Oft kommt es zur Überlastung der Personen durch die doppelte Rolle als Pflegender und als Mitarbeiter“, weiß Philipp-Metzen. Mitunter können zwischen Arbeitstelle und Pflegeort nämlich mehrere Kilometer liegen. Dazu komme, dass beispielsweise die mentale Stärke bei der Pflege von Alzheimerpatienten groß sein müsse. „Ein typisches Beispiel ist, dass der Erkrankte an einem Tag in guter Verfassung ist, das meiste selbst regeln kann und Hilfe ablehnt, am nächsten Tag aber einbricht und vieles nicht alleine lösen kann. Dabei Ruhe zu bewaren und die Krankheit zu verstehen, ist nicht immer einfach“, machte die Fachfrau klar.

Um die Doppelfunktion zu meistern, kommt es auch auf die Unterstützung des Arbeitgebers an. Voraussetzung ist, dass der betroffene Mitarbeiter seinen Chef in Kenntnis setzt, damit dieser überhaupt reagieren kann. „Und genau das ist noch ein Manko. Denn viele Mitarbeiter scheuen davor zurück, ihrem Arbeitgeber private Probleme zu erzählen. Dass eine Mitarbeiterin zum Beispiel jeden Morgen vor der Arbeit noch das Bett ihrer inkontinenten Mutter neu bezieht, ist eher ein Tabuthema“, gab Philipp-Metzen zu Bedenken. Dennoch sei Information das A und O für eine Vernetzung von Pflege und Beruf. Darauf machte auch Marcus Hörsting, Personalleiter bei Friwo, aufmerksam: „Ich möchte nicht, dass ein Angestellter einfach grundlos zwei Tage frei nimmt und wir nicht wissen, was passiert ist. Deshalb legen wir großen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter in solchen Situationen mit uns reden und wir gemeinsam eine Lösung finden.“ Darüber hinaus sacke die Leistungsfähigkeit bei dauerhafter Doppelbelastung von Arbeit und Pflege ab. „In Zeiten des Fachkräftemangels ist es schwierig, Mitarbeiter komplett zu ersetzen“, so Hörsting.

Betriebe können ihre Mitarbeiter unterstützen, indem sie Ansprechpartner im Betrieb für solche Probleme nennen und Offenheit gegenüber dem Thema zum Beispiel in Mitarbeitergesprächen signalisieren. Auch Informationsveranstaltungen oder Notfallpakete mit den wichtigsten Adressen von Anlaufstellen vor Ort könnten dabei helfen, so die Veranstalter.