Westfälische Nachrichten, 01.05.2010
Im Schatten der Übermutter
Münster/Hörstel - „War Frau von der Leyen auch hier?“, will die
Familienministerin wissen. „Nicht? Dann hat sie was verpasst.“ Die
Szene gestern in der münsterischen Kindertagesstätte „Chamäleon“ hat
etwas Symptomatisches: Kristina Schröder hat es nicht leicht, aus dem
Schatten ihrer Vorgängerin herauszufinden. Die siebenfache Mutter von
der Leyen hat die Familienpolitik der Union mit Elterngeld, Vätermonaten
und Kita-Ausbau derart geprägt, dass es schwer ist, noch Akzente zu
setzen - zumal wenn die Kasse leer ist.
Geschenke kann die jüngste Bundesministerin nicht verteilen - Kollege Schäuble hat schon unwirsch reagiert, weil die 32-Jährige die Familienzeit verlängern will. Doch in der Kita - ein Angebot für Studierende, die schon Kinder haben - beweist sie, dass sie sich noch im Uni-Umfeld auskennt. Schließlich hat Schröder eben erst ihre Promotion abgeliefert: Kinderbetreuung für Studierende sei wichtig. Erst die Ausbildung, dann die Kinder, so habe es „Vati immer gesagt“. Vernünftig - doch nicht für Akademiker. Denen droht die Zeit wegzulaufen: Erst das Studium, dann Fernbeziehung, schließlich die große Karrierechance im Beruf - da bleibe am Ende oft nur Zeit für höchstens ein Kind. Kitas wie das „Chamäleon“ würden helfen, Ruhe in die „Rushhour des Lebens“ zu bringen, lobt sie. Ruhe, um den Kinderwunsch Wirklichkeit werden zu lassen.
Wie die CDU-Politikerin da steht - heller Hosenanzug, außer schlichten Ringen kaum Schmuck, lächelnd, lauschend, nachfragend: Die Frau, zwei Köpfe kleiner als all die dunkel gekleideten Männer um sie her, ist unbestreitbar der Mittelpunkt. Würde sich nicht doch einmal die linke Hand in den rechten Ärmel flüchten - es gäbe von Unsicherheit kaum eine Spur.
Die Herzen der Kita-Kinder scheinen ihr zuzufliegen. „Kann ich auf den Schoß?“, fragt ein kleiner Wuschelkopf. Kein Wunder: Schröder hat angeboten, vorzulesen. Die Fotografen haben ihr passendes Motiv. Eine Stunde später steht Schröder im Kloster Gravenhorst vor einem Saal voller dunkler (Hosen-)Anzüge. Es ist die Regionalveranstaltung Münster-Steinfurt des Unternehmensnetzwerkes „Erfolgsfaktor Familie“. Schröder hat ihre Zahlen parat: Um fünf Millionen Kräfte wird der Arbeitsmarkt bis 2030 schrumpfen, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steige bis 2020 auf drei Millionen - und zwei Drittel werden zu Hause gepflegt. Die Folgen der Demografie: Familienfreundlichkeit werde zum Wettbewerbsfaktor für Unternehmen, die gut ausgebildete Frauen und Männer brauchen.
Sie verweist auf ihren Entwurf zur Familienpflegezeit: Mitarbeiter, die Angehörige pflegen, reduzieren ihre Arbeitszeit auf 50 Prozent, bekommen aber 75 Prozent des Gehaltes. Hinterher arbeiten sie für 75 Prozent des Geldes so lange volle Kraft, bis der vorgestreckte Lohn ausgeglichen ist. Vorteil: Der Vorschlag kostet den Staat kein Geld. Nachteil: Das Risiko liegt bei den Unternehmen, falls der Mitarbeiter nicht zurückkommt. Ein Versicherungsmodell, das dies absichere, lasse sie gerade durchrechnen, beteuert sie. „Ein veraltetes Familienbild“ habe man ihr vorgeworfen, weil sie auf die Pflege zu Hause setzt. Ihre Kritiker wollten Angehörige drei Wochen freistellen, um „das Problem“ ins Heim „wegzuorganisieren“. Da wird Schröder energisch: „Das ist nicht mein Menschenbild! Wer Angehörige pflegt, hat anderes verdient, als dass man ihm ein
veraltetes Familienbild vorwirft.“ Da brandet Beifall auf - zum ersten Mal.
Schröder redet konzentriert. Die Hände unterstreichen, was ihr wichtig ist. Nur manchmal wirkt sie unsicher. Dann suchen die Fingerspitzen einander und treffen vor dem hellen Hosenanzug zusammen. Es wirkt ein wenig wie das berühmte Dreieck, das die Kanzlerin so oft mit ihren Händen formt.